Selbstständig, aber nicht abgesichert: Berufsunfähigkeit im Unternehmertum

Berufsunfähigkeit im Unternehmertum

Viele Selbstständige stellen sich die Frage, was passiert, wenn man als Unternehmer plötzlich ausfällt. Ein Unfall, eine schwere Krankheit und plötzlich steht alles still: keine Einnahmen, keine Vertretung, keine Sicherheit. Fakt ist, dass über 50 % der Selbstständigen in Deutschland keine Berufsunfähigkeitsversicherung haben. Man sollte also vorsorgen, bevor es zu spät ist.

Was bedeutet Berufsunfähigkeit für Selbstständige konkret?

Schauen wir uns die Berufsunfähigkeit etwas näher an.

Definition: Unterschied zur Arbeitsunfähigkeit

Arbeitsunfähigkeit liegt vor, wenn man vorübergehend krank ist und seine Tätigkeit nicht wie gewohnt ausführen kann, z. B. bei einer Grippe oder nach einer Operation. In der Regel dauert das einige Tage oder Wochen. Angestellte erhalten in dieser Zeit Lohnfortzahlung und ggf. Krankengeld. Berufsunfähigkeit hingegen bedeutet, dauerhaft oder über einen längeren Zeitraum hinweg nicht mehr in der Lage zu sein, den erlernten oder zuletzt ausgeübten Beruf in seiner bisherigen Form auszuüben. In der Regel liegt dieser Zeitraum bei sechs Monaten oder mehr. Dabei können sowohl körperliche als auch psychische Erkrankungen die Ursache sein. Für Selbstständige ist dieser Unterschied besonders entscheidend: Sie erhalten kein Krankengeld von der gesetzlichen Krankenversicherung, wenn sie sich nicht freiwillig versichert haben und sie haben ohne Berufsunfähigkeitsversicherung keinerlei finanzielle Absicherung im Ernstfall.

Beispielhafte Szenarien

Hier ein paar reale, typische Fälle, in denen Selbstständige berufsunfähig werden können:

  • Bandscheibenvorfall (körperliche Einschränkung): Ein Handwerksmeister oder Fitnesstrainer kann seine körperliche Arbeit nicht mehr ausführen. Auch langes Sitzen oder Stehen, wie bei Beratern oder IT-Experten, wird unmöglich
  • Psychische Erkrankung (Burnout, Depression): Unternehmer, die dauerhaft unter extremem Druck stehen, können in eine Erschöpfungsdepression rutschen. Psychische Krankheiten sind inzwischen eine der häufigsten Ursachen für Berufsunfähigkeit
  • Unfall (plötzlicher Ausfall): Ein selbstständiger Fotograf erleidet einen schweren Fahrradunfall und kann weder Kamera halten noch Auto fahren – sein Alltag ist schlagartig nicht mehr möglich

In all diesen Fällen bedeutet das: Der bisherige Beruf ist nicht mehr oder nur noch eingeschränkt ausübbar und damit fällt die eigene wirtschaftliche Grundlage weg.

Finanzielle Folgen für Selbstständige

Berufsunfähigkeit ist für Selbstständige eine gesundheitliche und vor allem eine existenzielle Krise:

  • Wegfall des Einkommens: Anders als Angestellte haben Selbstständige keinen Lohnfortzahlungsanspruch. Fällt der Unternehmer aus, steht der Umsatz häufig bei null – besonders bei Solo-Selbstständigen oder kleinen Betrieben
  • Laufende Fixkosten: Miete für Büro oder Praxis, Leasingraten, Versicherungen, Beiträge, Gehälter von Mitarbeitenden – all das läuft weiter, auch wenn keine Einnahmen mehr kommen
  • Auftragsverluste & Image-Schäden: Können zugesagte Projekte nicht mehr erfüllt werden, springen Kunden ab und mit ihnen oft zukünftige Empfehlungen. Der Betrieb kann nachhaltig Schaden nehmen oder ganz zusammenbrechen
  • Ersparnisse reichen oft nicht: Viele Selbstständige haben keine ausreichenden Rücklagen für Monate oder Jahre ohne Einkommen. Staatliche Hilfen greifen meist nicht oder sehr spät

Warum staatliche Absicherung für Selbstständige nicht ausreicht

Berufsunfähigkeit bedeutet für Selbstständige in vielen Fällen: kein Einkommen, kein Netz, kein doppelter Boden.

Keine gesetzliche Erwerbsminderungsrente ohne Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung

Die gesetzliche Erwerbsminderungsrente soll Menschen absichern, die wegen Krankheit oder Behinderung nicht mehr oder nur noch eingeschränkt arbeiten können. Doch es gibt entscheidende Voraussetzungen:

  • Anspruch auf diese Rente haben nur Personen, die mindestens fünf Jahre Pflichtbeiträge in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt haben und davon mindestens 36 Monate innerhalb der letzten fünf Jahre
  • Viele Selbstständige zahlen keine Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung, da sie nicht verpflichtet sind und sich häufig für eine private Altersvorsorge entscheiden

Die Folge: Ohne regelmäßige Einzahlung besteht kein Anspruch auf Erwerbsminderungsrente, ganz gleich, wie schwer die gesundheitliche Beeinträchtigung ist.

Unterschiede zwischen Angestellten und Selbstständigen

Angestellte und Selbstständige sind im Sozialsystem sehr unterschiedlich abgesichert:

AbsicherungAngestellteSelbstständige
KrankenversicherungPflichtversicherung mit LohnfortzahlungFreiwillig, oft ohne Krankentagegeld
RentenversicherungPflichtversichert, ErwerbsminderungsrenteKeine Pflicht – kein Anspruch ohne Beitrag
ArbeitslosenversicherungAutomatisch integriertNur über freiwillige Weiterversicherung
Lohnfortzahlung im Krankheitsfall6 Wochen durch Arbeitgeber, dann KrankengeldKein Anspruch ohne Zusatzversicherung
BerufsunfähigkeitsabsicherungOft über Betrieb oder Tarifvertrag enthaltenMuss privat organisiert werden

Kurz gesagt: Selbstständige tragen im Krankheits- oder Berufsunfähigkeitsfall die volle Verantwortung für ihre Existenzsicherung selbst.

Hinweis auf Versorgungslücken

Die Versorgungslücke bei Berufsunfähigkeit kann bei Selbstständigen besonders gravierend sein:

  • Kein Einkommen mehr, aber weiterlaufende Ausgaben
  • Kein Anspruch auf staatliche Rente, wenn keine Pflichtbeiträge gezahlt wurden
  • Private Rücklagen reichen oft nicht aus, um den Lebensstandard über Monate oder Jahre zu sichern
  • Betriebsrisiko: Ohne Ersatzperson oder Vertretungsregelung steht im schlimmsten Fall die gesamte Firma still – Kunden, Mitarbeitende und Geschäftspartner können abspringen

Beispielrechnung: Ein Selbstständiger mit einem monatlichen Einkommen von 4.000 € verliert durch Berufsunfähigkeit dieses Einkommen vollständig. Selbst bei einem Anspruch auf volle Erwerbsminderungsrente (max. ca. 1.500 € brutto monatlich) würde eine Versorgungslücke von 2.500 € entstehen und das jeden Monat. Wer keine Erwerbsminderungsrente erhält, muss im schlimmsten Fall mit der Grundsicherung auskommen. Diese liegt derzeit bei rund 563 € plus Mietzuschuss (Stand 2025).

Die häufigsten Fehler in der Absicherungsstrategie von Selbstständigen

Berufliche Selbstständigkeit vereint Freiheit, Gestaltungsspielraum und die Verpflichtung, für die eigene Absicherung zu sorgen. Doch viele Selbstständige verlassen sich auf trügerische Annahmen, die im Ernstfall schwerwiegende Folgen haben können. Hier sind die drei häufigsten Denkfehler, die zur gefährlichen Absicherungslücke führen:

„Ich bin jung und gesund – mir passiert schon nichts.“

Das ist wohl der am weitesten verbreitete Irrtum, besonders unter jüngeren Unternehmern. Doch die Realität sieht anders aus:

  • Statistiken zeigen, dass jeder vierte Erwerbstätige in Deutschland im Laufe seines Lebens berufsunfähig wird – unabhängig von Alter oder Beruf
  • Psychische Erkrankungen, die besonders junge Selbstständige betreffen können (Burnout, Depression), sind mittlerweile die häufigste Ursache für Berufsunfähigkeit – und treffen einen oft völlig unerwartet
  • Unfälle, Sportverletzungen oder chronische Erkrankungen wie Rheuma oder Bandscheibenprobleme können jederzeit und jeden treffen – auch mit Anfang 30

Was viele nicht wissen: Gerade im jungen Alter ist die Absicherung besonders günstig, da Versicherungen den Beitrag nach Gesundheitszustand und Eintrittsalter kalkulieren. Wer jung und gesund ist, erhält häufig die besten Konditionen. Wer hingegen wartet, riskiert Risikoaufschläge, Leistungsausschlüsse oder sogar eine Ablehnung durch den Versicherer.

„Ich habe doch Rücklagen, das reicht im Notfall.“

Natürlich ist es sinnvoll, Rücklagen zu bilden, aber:

  • Wie lange reichen sie wirklich? Ein Polster von 10.000 oder 20.000 € mag beruhigend wirken, doch wenn man mehrere Monate oder gar Jahre ohne Einkommen dasteht, sind diese schnell aufgebraucht, besonders bei laufenden Fixkosten (z. B. Miete, Leasing, Versicherung, Personal)
  • Private Rücklagen sind keine Planungssicherheit. Sie bieten keine garantierte, monatliche Zahlung wie eine Berufsunfähigkeitsrente. Rücklagen können aufgebraucht werden und dann?
  • Ungeplante Ereignisse kosten oft mehr als gedacht. Neben den laufenden Kosten kommen im Krankheitsfall häufig noch zusätzliche Ausgaben hinzu: Therapien, Umbauten, Zuzahlungen, Reha-Aufenthalte

„Ich sichere mich später ab, wenn ich mehr verdiene.“

Auch das ist ein gefährlicher Trugschluss. Viele Selbstständige denken: „Erst einmal das Geschäft aufbauen – um die Absicherung kümmere ich mich später.“ Doch das kann gleich aus mehreren Gründen problematisch werden:

  • Später heißt oft: zu spät. Wer erst handelt, wenn die ersten gesundheitlichen Probleme auftreten, hat es meist schwer, noch bezahlbaren Versicherungsschutz zu bekommen
  • Spätere Absicherung wird deutlich teurer. Je älter man wird, desto höher wird der Beitrag und bei bereits bestehenden Erkrankungen drohen Risikozuschläge oder Leistungsausschlüsse
  • Keine Garantie auf Annahme. Berufsunfähigkeitsversicherungen prüfen Gesundheitszustand, ärztliche Diagnosen und Vorerkrankungen sehr genau. Wer z. B. schon einmal eine Depression im Arztbericht hatte, bekommt häufig keinen Vollschutz mehr.
    Besser: Frühzeitig handeln, wenn die Absicherung noch möglich und günstig ist und mitwachsen kann

Was eine gute Berufsunfähigkeitsversicherung für Unternehmer leisten sollte

Für Unternehmer und Selbstständige ist die Berufsunfähigkeitsversicherung eine der wichtigsten Vorsorgebausteine überhaupt, da ihr Einkommen in hohem Maße direkt von ihrer Arbeitskraft abhängt. Doch nicht jede BU-Versicherung passt zu den besonderen Anforderungen unternehmerischer Tätigkeiten. Hier sind die zentralen Leistungsmerkmale, auf die es ankommt:

Flexible Beitragsgestaltung: Absicherung, die sich der Lebenssituation anpasst

Gerade in der Selbstständigkeit schwanken Einkommen, Liquidität und finanzielle Belastung oft stark, insbesondere in der Gründungsphase oder bei saisonabhängigem Geschäft. Eine gute BU-Versicherung sollte deshalb anpassbar und finanziell tragbar bleiben. Was das konkret bedeutet:

  • Möglichkeit zur Beitragsreduktion (z. B. im Falle vorübergehender Engpässe oder Elternzeit)
  • Vertragsmodelle mit Einstiegstarifen, die zu Beginn niedrigere Beiträge ermöglichen (und sich später erhöhen)
  • Beitragsstundung bei finanziellen Notlagen, ohne sofortigen Verlust des Versicherungsschutzes
  • Optionen zur Nachzahlung, wenn Beiträge gestundet wurden

Absicherung auch bei Teilausfall: Nicht alles oder nichts

Nicht jede Berufsunfähigkeit bedeutet, dass man komplett ausfällt. Oft ist es nur ein Teil der bisherigen Tätigkeit, der nicht mehr ausgeführt werden kann, z. B. körperliche Aufgaben bei einem Handwerksmeister oder lange Bildschirmarbeit bei einem IT-Consultant. Worauf man achten sollte:

  • Die Versicherung sollte bereits ab 50 % Berufsunfähigkeit leisten. Das gilt zwar als Standard, ist aber nicht immer selbstverständlich
  • Teilrentenregelung: Wird z. B. 50 % Berufsunfähigkeit festgestellt, sollte eine anteilige Rente gezahlt werden, auch wenn man noch in reduziertem Umfang arbeiten kann
  • Keine Anrechnung von anderen Einkünften (z. B. aus Kapitalanlagen oder geringfügiger Nebentätigkeit), solange sie nicht dem bisherigen Beruf entsprechen
  • Verzicht auf abstrakte Verweisung: Der Versicherer darf den Versicherten nicht auf einen anderen Beruf verweisen, den er theoretisch noch ausüben könnte. Das ist besonders wichtig bei Unternehmern, die ein spezifisches Tätigkeitsprofil haben

Dynamik und Nachversicherungsgarantien: Schutz, der mitwächst

Die Lebensrealität eines Unternehmers verändert sich ständig. Steigendes Einkommen, Firmenerweiterung, Familiengründung oder der Kauf einer Immobilie führen dazu, dass der ursprünglich gewählte Versicherungsschutz nach einigen Jahren oft nicht mehr ausreicht. Dynamik-Klausel

  • Die BU-Rente steigt automatisch regelmäßig an (z. B. um 3 % jährlich), ohne dass eine erneute Gesundheitsprüfung notwendig ist
  • Gilt sowohl für den Beitrag als auch für die Leistung im Leistungsfall. So bleibt der Schutz wertstabil trotz Inflation

Nachversicherungsgarantie Ermöglicht es, die versicherte BU-Rente bei bestimmten Lebensereignissen zu erhöhen, ohne erneute Gesundheitsprüfung, z. B.:

  • Heirat
  • Geburt eines Kindes
  • Gründung oder Erweiterung des Unternehmens
  • Aufnahme eines Immobilienkredits
  • Einkommenssteigerung

Vorsorge ist Unternehmerschutz

Berufsunfähigkeit ist keine seltene Ausnahme, sondern ein realistisches Risiko, das jeden Unternehmer treffen kann, sei es durch Krankheit, Unfall oder psychische Belastung. Fehlt eine passende Absicherung, gerät im Ernstfall das persönliche Einkommen in Gefahr, oft mit weitreichenden Folgen für das gesamte Unternehmen. Eine gute Vorsorge schützt die Unternehmerpersönlichkeit und stellt zugleich einen wichtigen Aspekt verantwortungsvollen und nachhaltigen Wirtschaftens dar.

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