Unerlaubte Handlung

U.H. ist der widerrechtliche, d.h. ohne
Rechtfertigungsgrund wie Notwehr, Einwilligung, Züchtigungsrecht o. dgl. vorgenommene
Eingriff in ein vom Gesetz geschütztes Rechtsgut, durch den – adäquat verursacht
(Schadensersatz) – ein Schaden eintritt; Strafbarkeit ist nicht Voraussetzung. Die u.H.
setzt regelmäßig Verschulden voraus; Ausnahmen gelten für den Bereich der
Gefährdungshaftung , insbes. für die Straßenverkehrshaftung; s.a. unten über die
Haftung für Kinder, Tiere, Gebäude usw. Über die Haftung von Unzurechnungsfähigen und
Minderjährigen selbst Deliktsfähigkeit. Der Anspruch auf Schadensersatz aus u.H. tritt
selbständig neben einen etwa gleichzeitig bestehenden Anspruch aus Verletzung eines
Vertrags (gegenseitiger Vertrag); ein vertraglicher Haftungsausschluss (Handeln auf eigene
Gefahr, Gefälligkeitsfahrt) gilt dann oftmals auch für die u.H. Sonderregeln enthalten
die Vorschriften über den (zivilrechtlichen) Notstand, die Folgen einer Enteignung, eines
enteignungsgleichen Eingriffs, eines enteignenden Eingriffs und einer Aufopferung sowie im
Rahmen der Staatshaftung . Im Gebiet der ehem. DDR gelten die folg. Ausführungen nur für
u.H., die ab 3. 10. 1990 begangen wurden (Art. 232 § 10 EGBGB). Eine u.H. begeht
einmal, wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper (auch die Leibesfrucht
einer Schwangeren), die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum (hier aber
Sondervorschriften im Eigentümer-Besitzerverhältnis) oder ein sonstiges Recht verletzt
und dadurch einen Schaden herbeiführt, z.B. durch einen verschuldeten Verkehrsunfall (§
823 I BGB).
Unter "sonstiges Recht" fallen hier nur absolute, gegen jedermann wirkende
Rechte wie dingliche Rechte, das Anwartschaftsrecht, Patentrechte, Familienrechte, das
Persönlichkeitsrecht, der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb, soweit sich der
Eingriff unmittelbar gegen ihn richtet (z.B. bei einem Boykottaufruf, nicht aber bei
Unterbrechung der Stromzufuhr durch Baggerarbeiten), auch der Besitz, nicht aber bloß
persönliche Forderungen sowie das Vermögen als solches. Auch durch Unterlassen kann eine
u.H. begangen werden, wenn eine Rechtspflicht zum Handeln, d.h. zur Vermeidung der u.H.
besteht; s. insbes. Verkehrssicherungspflicht. Eine u.H. begeht ferner, wer gegen ein den
Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt (§ 823 II BGB). Schutzgesetz in
diesem Sinne ist jede Rechtsnorm, die nicht nur die Allgemeinheit, sondern unmittelbar den
Schutz eines einzelnen bezweckt, (Individualschutzgesetz, z.B. die Vorschriften des
Strafgesetzbuchs über den Schutz der Ehre gegen Beleidigung, über Körperverletzung und
Betrug, nicht aber die Sozialversicherungsvorschriften bei deren Verletzung durch den
Arbeitgeber). Eine u.H. liegt auch vor, wenn der Wahrheit zuwider eine Tatsache behauptet
oder verbreitet wird, die geeignet ist, den Kredit eines andern zu gefährden oder
sonstige Nachteile für dessen Erwerb oder Fortkommen herbeizuführen, sofern der
Verbreitende die Unwahrheit der Behauptung kennt oder sie fahrlässigerweise nicht kennt
und an der Verbreitung kein berechtigtes Interesse hat ( Kreditgefährdung § 824 BGB).
Das gilt insbes. auch bei unwahren Presseveröffentlichungen; bei Eingriffen in die
Geschäftsehre durch unrichtige Berichterstattung ist – wie bei der Verletzung des
Persönlichkeitsrechts – durch Güter- und Interessenabwägung unter Berücksichtigung des
Zwecks der Presse (Unterrichtung der Öffentlichkeit) und der Art der Berichterstattung
(echte Berichterstattung oder Sensationszweck) das Vorliegen eines berechtigten Interesses
an der Veröffentlichung zu prüfen. Eine u.H. stellt ferner eine Verletzung der
Geschlechtsehre dar, wenn eine Frau durch List, Drohung oder unter Ausnützung eines
Abhängigkeitsverhältnisses zur Gestattung des außerehelichen Beischlafs bestimmt wird
(§ 825 BGB). Eine Art Generalklausel enthält darüber hinaus § 826 BGB. Danach begeht
eine u.H., wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise (Sittenwidrigkeit )
einem anderen vorsätzlich – also nicht nur fahrlässig – einen Schaden zufügt. Hierunter
sind insbes. die Ausnutzung einer wirtschaftlichen Machtstellung (Knebelungsverträge,
Gläubigergefährdung durch Täuschung über die Kreditwürdigkeit des Schuldners),
unzulässige Streiks und Boykottaufrufe, Erschleichen eines unrichtigen Urteils oder
sittenwidriges Gebrauchmachen von einem derartigen Titel sowie insbes. sämtliche
Wettbewerbshandlungen zu verstehen, die in ihren Methoden dem Anstandsgefühl aller billig
und gerecht Denkenden widersprechen und daher das im Wettbewerb Übliche erheblich
überschreiten, um den Konkurrenten zu schädigen (Kundenfang, herabsetzende Werbung
usw.). Die sittenwidrige u.H. begründet gegenüber einem Erfüllungsanspruch regelmäßig
die Einrede der Arglist (Treu und Glauben).
Ein minderjähriges Kind ist für eine u.H. beschränkt verantwortlich
(Deliktsfähigkeit). Wer jedoch kraft Gesetzes oder vertraglich (Lehrer) zur Aufsicht
über eine Person verpflichtet ist, die wegen Minderjährigkeit oder wegen ihres geistigen
oder körperlichen Zustands der Beaufsichtigung bedarf, ist zum Ersatz des Schadens
verpflichtet, den diese Person einem Dritten widerrechtlich zufügt (§ 832 BGB,
Aufsichtspflichtverletzung). Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Betreffende
seiner Aufsichtspflicht genügt (entsprechende Belehrung, zumutbare Beaufsichtigung
spielender Kinder, Beseitigung gefährlichen Spielzeugs) oder wenn der Schaden auch bei
ordnungsmäßiger Aufsicht entstanden wäre.
Wird durch ein Tier ein Mensch getötet oder verletzt oder eine Sache beschädigt, so
ist der Tierhalter, d.h. derjenige, der ein Tier im eigenen Interesse unterhält, auch
ohne Verschulden (Gefährdungshaftung) zum Ersatz des entstandenen Schadens verpflichtet
(§ 833 BGB, Tierschadenshaftung). Voraussetzung ist jedoch, daß der Schaden durch ein
willkürliches, typisch tierisches Verhalten (z.B. Scheuen eines Pferdes, nicht aber bei
entsprechender Lenkung) entsteht und die Haftung nicht vertraglich (auch stillschweigend,
Gefälligkeitsfahrt) ausgeschlossen ist. Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der
Schaden durch ein Haustier verursacht wird, das dem Erwerb des Tierhalters dient (z.B.
Jagdhund, Zuchtpferd) und der Tierhalter entweder die erforderliche Sorgfalt beobachtet
hat oder der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden wäre. Tierhalter ist,
wer das Tier in seinem Bereich (Haushalt, Betrieb) im eigenen Interesse verwendet; das
Eigentum am Tier ist nicht unbedingt ausschlaggebend. Eine entsprechende Haftung trifft
denjenigen, der vom Tierhalter die Aufsicht über das Tier durch Vertrag übernommen hat (
Tierhüter, Tierwärter, § 834 BGB). Wird durch den Einsturz eines Gebäudes, einer
Ruine, eines Baugerüsts o. dgl. oder durch Ablösen von Teilen hiervon ein Mensch
getötet oder verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Eigenbesitzer des
Grundstücks zum Ersatz des Schadens verpflichtet, sofern der Einsturz oder die Ablösung
die Folge fehlerhafter Errichtung oder mangelhafter Unterhaltung ist (§ 836 BGB). Diese
Gebäudehaftung trifft auch den früheren Besitzer bis zu 1 Jahr nach Beendigung seines
Besitzes sowie einen vertraglich zur Unterhaltung des Gebäudes Verpflichteten; besitzt
jemand das Gebäude auf Grund eines selbständigen Rechts, insbes. Erbbaurecht oder
Nießbrauch, so trifft ihn die Haftung anstelle des Grundstücksbesitzers (§§ 837, 838
BGB). Die Gebäudehaftung ist ausgeschlossen, wenn der Besitzer zur Abwendung der Gefahr
die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet hat (z.B. Überprüfung der Haltbarkeit
einer Ruine).
Wer einen anderen zu einer Verrichtung bestellt, ist – neben einer etwaigen eigenen
Haftung, z.B. aus Verletzung der Verkehrssicherungspflicht – zum Ersatz des Schadens
verpflichtet, den der andere (sog. Verrichtungsgehilfe) in Ausführung der Verrichtung
einem Dritten widerrechtlich zufügt; ein Verschulden des Verrichtungsgehilfen ist nicht
erforderlich (§ 831 BGB). Anders als bei der Haftung für den Erfüllungsgehilfen (§ 278
BGB) wird hier ein bestehendes Schuldverhältnis nicht vorausgesetzt; Sondervorschriften
gelten ferner für die Haftung einer juristischen Person (§§ 31, 89 BGB).
Verrichtungsgehilfe ist nur, wer unter der Einwirkungsmöglichkeit des Geschäftsherrn
steht, also von dessen Weisungen abhängig ist. Der Schaden muss in Ausführung der
aufgetragenen Verrichtung und nicht nur gelegentlich dieser (z.B. Diebstahl einer Uhr
durch Arbeiter, der Reparatur ausführt) eingetreten sein. Diese weite Haftung des
Geschäftsherrn aus vermutetem eigenem Verschulden tritt jedoch nicht ein, wenn dieser bei
der Auswahl des Verrichtungsgehilfen und bei dessen Überwachung sowie bei der Beschaffung
der erforderlichen Gerätschaften die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet hat
oder wenn der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden wäre (§ 831 I 2
BGB). An diesen Entlastungsbeweis (Exkulpationsbeweis) des Geschäftsherrn werden –
insbes. bei verantwortungsvollen Tätigkeiten (z.B. Kraftfahrer) – strenge Anforderungen
gestellt; bei Großbetrieben ist zur Entlastung eine ordnungsgemäße Organisation
nachzuweisen. Haben mehrere gemeinschaftlich, wenn auch nur als Anstifter oder Gehilfen,
eine u.H. begangen, so ist jeder für den Schaden verantwortlich, sofern eine echte
Beteiligung, d.h. zeitlicher, räumlicher und inhaltlicher Zusammenhang feststeht (ebenso,
wenn sich z.B. bei einer Schlägerei die Beteiligung der einzelnen nicht mehr klären
lässt, § 830 BGB; nicht aber bei bloßer Teilnahme an einer Demonstration hins. der
Gewalttaten anderer, BGHZ 89, 383).
Sind für den aus einer u.H. – auch aus einer Gefährdungshaftung – entstandenen
Schaden mehrere nebeneinander verantwortlich, so haften sie nach außen als
Gesamtschuldner (§ 840 I BGB). Im Innenverhältnis sind sie nach § 426 BGB
grundsätzlich zu gleichen Anteilen verpflichtet (Ausgleichungspflicht bei der
Gesamtschuld); im Verhältnis zwischen Geschäftsherrn und Verrichtungsgehilfen ist jedoch
nur der Verrichtungsgehilfe, bei der Tierhalter- und Gebäudehaftung nur ein etwa
vorhandener Dritter, der den Schaden zu verantworten hat, haftbar (§ 840 II, III BGB).
Die u.H. verpflichtet zum Schadensersatz (§§ 249ff. BGB) nach den dafür geltenden
allgemeinen Regeln. Der Geschädigte hat den Tatbestand der u.H., die Kausalität und das
Verschulden des Schädigers zu beweisen; in Fällen eines typischen Geschehensablaufs
spricht für ihn jedoch oftmals der Beweis des ersten Anscheins (Anscheinsbeweis,
prima-facie-Beweis), solange der Gegner nicht die ernsthafte Möglichkeit eines anderen
Kausalverlaufs vorträgt (z.B. Auffahren auf einen Baum bei ebener trockener
verkehrsruhiger Straße spricht für Verschulden des Fahrers). Wird die Rechtswidrigkeit
des Handelns bestritten, so muss der Schädiger einen behaupteten Rechtfertigungsgrund,
z.B. Notwehrlage, eigenes verkehrsgerechtes Verhalten (str.), beweisen. Wird die u.H.
ausschließlich im Gefahrenbereich des Schädigers begangen (z.B. Kunstfehler eines
Arztes), so tritt nach der Rspr. eine echte Umkehrung der Beweislast ein (d.h. der Arzt
muss sich entlasten). Für Personenschäden gelten darüber hinaus folgende
Sonderregelungen: Die Verpflichtung zum Schadensersatz umfasst alle Nachteile für den
Erwerb oder das Fortkommen des Verletzten (z.B. schlechtere Anstellung, § 842 BGB). Wird
infolge einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit die Erwerbsfähigkeit des
Verletzten aufgehoben oder vermindert oder tritt hierdurch eine Vermehrung seiner
Bedürfnisse ein, so ist der Schadensersatz in Form einer Geldrente, auf die die
Vorschriften über die Leibrente Anwendung finden, zu leisten (§ 843 BGB); bei Vorliegen
eines wichtigen Grundes kann auch eine Kapitalabfindung verlangt werden. Anspruch auf
Schadensersatz aus einer u.H. wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß ein anderer dem
Verletzten Unterhalt zu gewähren hat (§ 843 IV BGB; keine Bevorzugung des Schädigers!).
Im Falle der Tötung einer Person hat der Ersatzpflichtige die Beerdigungskosten zu tragen
sowie jedem, der dem Getöteten gegenüber unterhaltsberechtigt war (also einem mittelbar
geschädigten Dritten), als Schadensersatz während der mutmaßlichen Lebensdauer des
Getöteten eine Geldrente zu bezahlen (§ 844 BGB). Sowohl hier als auch bei der Minderung
der Erwerbsfähigkeit ist der Gedanke der Vorteilsausgleichung zu berücksichtigen, soweit
diese im Einzelfall dem Geschädigten zumutbar ist (z.B. die Einkünfte aus der bereits
jetzt angefallenen Erbschaft des Getöteten, nicht der Stammwert selbst, weil dieser auch
später angefallen wäre; ebenso wenig Leistungen aus privater Unfall- oder
Lebensversicherung u.dgl., für die der Getötete oder ein Dritter Prämie gezahlt hat,
BGH NJW 1979, 760). Ein Anspruch eines Dritten auf Schadensersatz in Form einer Geldrente
besteht auch bei Tötung, Körperverletzung oder Freiheitsentziehung, wenn der Verletzte
kraft Gesetzes (elterliche Sorge) diesem Dritten zur Leistung von Diensten in dessen
Hausstand oder Gewerbe verpflichtet war (z.B. für die Beschaffung einer Ersatzkraft, §
845 BGB; s. aber Mitarbeit der Ehegatten). Bei Personenschäden – an Körper, Gesundheit,
Freiheit usw. – ist neben dem materiellen Schaden auch der immaterielle Schaden durch ein
angemessenes Schmerzensgeld auszugleichen (§ 847 BGB).
Der Schadensersatzanspruch aus einer u.H. verjährt in 3 Jahren von dem Zeitpunkt an,
in dem der Verletzte von dem Schaden (wenn auch nicht von dessen Umfang) und von der
Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt hat, ohne Rücksicht auf diese Kenntnis in
30 Jahren nach Begehung der u.H. (§ 852 BGB). Solange über die Ersatzpflicht ernsthaft
verhandelt wird, ist die Verjährung gehemmt (§ 852 II BGB). Hat der Schädiger durch die
u.H. etwas erlangt, so ist er auch nach Verjährung zur Herausgabe nach den Vorschriften
über die ungerechtfertigte Bereicherung verpflichtet (§ 852 III BGB); umgekehrt kann der
Verletzte die Erfüllung einer durch u.H. erlangten Forderung auch nach Verjährung des
Ersatzanspruchs verweigern (§ 853 BGB).

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